antiamerikanische "kulturrevolution"

Martin Jander, Andrei S. Markovits Anmerkungen zu den Aktivitäten des "Vereins Deutsche Sprache e.V." am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin

Viele Befürchtungen und allzu große Skepsis über die mögliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland seit dem Beitritt der DDR haben sich als unbegründet erwiesen. Ein "Viertes Reich" ist nicht in Sicht, eine außenpolitische Abkoppelung des Landes vom Westen kann nicht konstatiert werden und auch die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ist weiter ein wesentliches Thema in Öffentlichkeit und Gesellschaft, der Normalisierungsdiskurs hat sich bislang nicht durchsetzen können.

Zwar verweisen die nur sehr langsamen Fortschritte der politischen Konstitution Europas, die allzu zögerliche Haltung des Bundestages zur (symbolischen) Entschädigung der Zwangsarbeiter im Nationalsozialismus, die immer noch erschreckend hohe Anzahl fremdenfeindlicher Anschläge gegen jüdische Einrichtungen und NichtDeutsche sowie die bislang nicht mit der notwendigen Energie von der rotgrünen Bundesregierung betriebene Regelung der Zuwanderung auf schwerwiegende Defizite der bundesrepublikanischen Gesellschaft und Politik, diese Defizite sind jedoch selbst Gegenstand einer wachen internationalen Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch der politischen und intellektuellen Diskurse der Republik selbst.

Die Debatte darüber, was jedoch die Identität und damit natürlich auch die Politik der neuen Republik sein soll und welche Rolle im kollektiven Gedächtnis der Nationalsozialismus spielen wird, ist nicht beendet. Man könnte geradezu sagen, dass die "Berliner Republik" seit dem Beitritt der DDR und in besonderer Heftigkeit seit dem Beginn der rotgrünen Regierungskoalition 1998 ihre Existenz darin findet, beständige Kulturkontroversen darüber zu führen, was Deutschland in dem neuen Europa sein soll. Auch die Auseinandersetzung um die politische Vergangenheit des Bundesaußenministers, die sich in eine Kontroverse über Rolle und Bedeutung der "68er" für die neue Republik ausweitete, war eine dieser Debatten.

Eine gefährliche Entwicklung innerhalb dieser Auseinandersetzungen, deren Brisanz bislang von einer breiten Öffentlichkeit unserer Auffassung nach nur ungenügend wahrgenommen und bedacht wird, soll hier angesprochen werden. Sie scheint uns ein Hinweis darauf zu sein, dass die Demokratie als Lebensform in der Bundesrepublik, ihre Verwestlichung, keineswegs so unumkehrbar feststeht, wie es eine generalisierende Bilanz der letzten Dekade deutscher Außen und Innenpolitik erscheinen läßt.

Antiamerikanismus als Identitätssurrogat

Wir meinen, als eines der gefährlichen Elemente der verschiedenen Kontroversen über die Zukunft der Demokratie in der Bundesrepublik ist der mehr oder weniger offene Antiamerikanismus anzusehen. Es gibt ihn überall in Europa , in der Bundesrepublik jedoch hat er eine besondere Qualität. Mit Antiamerikanismus ist natürlich nicht die berechtigte und wichtige Kritik auch deutscher Politiker an der Außen und Innenpolitik der Vereinigten Staaten gemeint. Weder die Kritik an der Todesstrafe in verschiedenen Bundesstaaten der USA, noch Widerspruch gegen ihre Haltung zum internationalen Klimaschutzabkommen oder die Ablehnung bzw. Modifizierung der Pläne für ein neues Raketenabwehrprogramm sollen hier tabuisiert werden.

Mit Antiamerikanismus werden hier vielmehr Bilder von der amerikanischen Gesellschaft bezeichnet, die unabhängig von einem eigenen Gegenstand der Kritik, eine negative Leitbildfunktion für die eigene (deutsche) Gesellschaft haben. Sie bezeichnen alles, was eine Gesellschaft nicht sein will oder ablehnt zu sein. Die Brisanz solcher Antiamerikanismen und damit auch ihre mögliche Rolle als Identitätssurrogat für Gesellschaften im Umbruch oder in der Neuformierung, die sich ihrer politisch und kulturell tragenden Orientierungen unsicher sind liegt gerade darin, dass sie linke sozialkritische und konservativ zivilisationskritische Elemente in der Kritik an der Moderne miteinander bündeln können. "Nicht so wie in Amerika" bildet einen letzten wenn auch häufig verschieden begründeten gemeinsamen Nenner für konservative Gegner eines geeinten föderalen Bundesstaates in Europa, die vor allem die Gefahr der Auflösung der "kulturellen Vielfalt" der europäischen Nationalstaaten zu ihrem Thema machen, gleichzeitig jedoch auch für linke und linksradikale Kritiker der Globalisierung, die mit der Einigung Europas an der Seite Amerikas die unbeschränkte Durchsetzung eines hemmungslosen Kapitalismus befürchten, der von den Vereinigten Staaten kontrolliert zu einem Angriff auf die europäischen Bastionen der Linken startet.

Formwandel des Antiamerikanismus in Deutschland nach 1945

In Deutschland enthielt der Antiamerikanismus seit der Romantik die bereits benannten linken als auch konservativen Elemente, er hat die verschiedensten Wandlungen durchschritten. Seit der Zerschlagung des Nationalsozialismus hat er jedoch einen entscheidenden Formwandel durchlebt: "Nur ein Deutschland, das sich seinem Wesen entfremden würde, war vom Yankee wohlgelitten" formulierte der nationalsozialistische Ideologe Adolf Halfeld noch zur Kriegszeit das deutschamerikanische Verhältnis. Der Topos der Entfremdung Deutschlands von sich selbst war dann aber seit 1945 wesentlicher Inhalt auch nichtnationalsozialistischer amerikafeindlicher Reden in der Bundesrepublik und der DDR. Entsprechend war der Topos der Wiedergewinnung von Deutschlands eigentlicher Identität antiamerikanisch ausgerichtet.

Wir befürchten, dass der Antiamerikanismus in der gegenwärtigen Periode verschiedenartiger Umbrüche und Modernisierungsprobleme in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Bindemittel sozialkritischer und konservativer Mobilisierung werden kann und vor allem zu einem Topos eines neuen Nationalismus. Die Bundesrepublik muß nach dem Ende des Kalten Krieges ihre Rolle in Europa festlegen. Seit dem Beitritt der DDR kann und wird sich die neue Republik zum ersten Mal seit 1945 als Nationalstaat definieren. Darüber hinaus spielt sie bei der Konstitution Europas und seiner Geschwindigkeit wie Struktur eine entscheidende Rolle; sie steht in der internationalen wirtschaftlichen Konkurrenz; die Sozialsysteme seit 1945 fast so etwas wie der Kern der politischen Zustimmung zur Demokratie befinden sich im Umbruch; sie muß die längst existierende bislang jedoch immer geleugnete Einwanderung akzeptieren und Mittel und Wege einer politischen Integration auf der Basis von Multukulturalität finden. Diese Veränderungen rufen eine große Anzahl politischer und sozialer Probleme hervor. Was liegt da näher als die Benennung eines Sündenbocks, der in breiten gesellschaftlichen Schichten und politischen Lagern längst als Gegner angesehen wird?

Fritz Vilmar und der "Verein Deutsche Sprache e.V."

Unmittelbarer Anlaß unserer Intervention ist ein Seminar, dass der inzwischen emeritierte Politikwissenschaftler Prof. Fritz Vilmar zusammen mit Dr. Horst Hensel, dem stellvertretenden Vorsitzenden des 1997 in Dortmund gegründeten "Vereins Deutsche Sprache e.V." am OttoSuhrInstitut der Freien Universität Berlin mit dem Thema "Die Anglisierung/Amerikanisierung der deutschen Sprache als politologisches und politisches Problem" anbietet. Im Untertitel heißt das Seminar "Deutschland zwischen kultureller Selbstaufgabe und Selbstbehauptung". Vilmar, der inzwischen in Berlin selbst Beuaftragter für Hochschulfragen des genannten Vereins ist, gilt und sieht sich selbst als ein Vertreter der sozialdemokratischen Linken. 1929 geboren, lehrte Vilmar seit 1975 am OttoSuhrInstitut der Freien Universität Berlin, einer der TheorieHochburgen der Neuen Linken der Bundesrepublik seit dem Ende der 60er Jahre. Er gehörte von 1977 bis 1984 der Grundwertekommission der SPD an, arbeitete im Zusammenhang der deutschen Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre im "Arbeitskreis atomwaffenfreies Europa" mit und veröffentlichte seit Mitte der 60er Jahre zu zentralen Themen linker Debatte in der Bundesrepublik. Fritz Vilmar beteiligt sich inzwischen umtriebig an der Skandalisierung und Zurückdrängung von Anglizismen.

Die Seminarankündigung sie hat inzwischen an der Universität Proteste hervorgerufen , die von den Medien und der Universitätsöffentlichkeit jedoch bisher als weitgehend übertrieben und überzogen angesehen werden lautete wie folgt: "Das Seminar geht aus von der Tatsache der weitreichenden Anglisierung/Amerikanisierung der deutschen Sprache, die für zwei Drittel der Deutschen kaum verständlich die (Alltags)Kultur prägt. Es versucht, die soziopolitischen Ursachen und Auswirkungen dieses partiellen Sprachverfalls im Einzelnen zu klären. Auszugehen ist dabei von der westdeutschen Tendenz nach der nationalsozialistischen Katastrophe, sich bereitwillig der kulturellen, politischen und ökonomischen Dominanz der USA unterzuordnen. In den letzten Jahrzehnten hat darüber hinaus der amerikanisch dominierte Globalisierungsprozess in Wirtschaft und Kultur insbesondere in (WestDeutschland) eine auch sprachliche Amerikanisierung bewirkt. Dieser Prozess provoziert die politologische Kontroverse: über kulturelle Selbstverleugnung versus Selbstbehauptung. In diesem Zusammenhang ist auch das Phänomen negativer nationaler Identität von Funktions und PositionsEliten in Werbung, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft/Kultur zu analysieren, sowie die Kritik daran durch Bürger und Bürgerinitiativen, die sich u. a. auf Art. 3 (3) GG berufen. Das Problem wird auch in Einzelfallstudien erörtert: Sprache der Werbung, öffentliche und Firmensprache, Sprache und Außenpolitik und Deutsch in der EU, Deutsch als (marginalisierte) Wissenschaftssprache, französisches und polnisches Sprachenschutzgesetz, Sprachvereine in Deutschland usw." Selbst der Dekan des Fachbereichs Politik und Sozialwissenschaften Herr Sandschneider erachtete das Seminar nach dieser Ausschreibung als "inhaltlich etwas problematisch" . Er erwog sogar die Veranstaltung zu untersagen, da die Dozenten auf Werbeflugblättern erklärt hatten, zur Teilnahme an dem Hauptseminar seien wissenschaftliche Vorkenntnisse "nicht erforderlich." Aus Gründen der Freiheit von Lehre und Forschung jedoch sah er dann von einem Verbot ab. Ihm wie vielleicht vielen anderen die den Ankündigungstext möglicherweise erstaunt aber nicht erschrocken zur Kenntnis genommen hatten, könnte ein Blick in die Streitschrift des stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins Deutsche Sprache, CoDozent des Seminars an der Freien Universität Berlin, deutlich machen, worum es hier geht.

Horst Hensel und der "Verein Deutsche Sprache e.V."

Horst Hensel wurde 1947 im Ruhrgebiet geboren, erlernte ein Handwerk und gelangte über den Zweiten Bildungsweg zum Studium. Er wurde in Dortmund zum Dr. päd. promoviert und arbeitete in den 70er Jahren als Gesamtschullehrer und wirkte im eher linken "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" mit. Zwischenzeitlich war er Hochschulassistent in Bielefeld und hatte Lehraufträge in Leipzig und Shanghai. Er schreibt auch Hörspiele, Opernlibretti sowie Essays zu Pädagogik, Geschichte, Kunst, Kultur und Literatur. Neben seiner Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender des Vereins deutsche Sprache ist er ehrenamtlicher stellvertretender Vorstandsvorsitzender eines Lokalradios in NordrheinWestfalen, ständiger Mitarbeiter der rechtskonservativen Zeitschrift MUT und legt Wert auf die Erwähnung, dass er an seinem Wohnort Kamen im Ruhrgebiet einen "Runden Tisch gegen Rechts Bürgerinitiative gegen fremdenfeindliche Gewalt" gegründet hat.

In seiner Streitschrift "Sprachverfall und kulturelle Selbstaufgabe" wird die Veränderung der deutschen Sprache Thema des Seminars an der Freien Universität Berlin in einen weiteren Kontext gestellt. Hier wird ein Plädoyer für eine weitreichende "Kulturrevolution" formuliert. Diese "Kulturrevolution" hält Hensel aus verschiedenen Gründen für notwendig.

Nach dem Faschismus habe sich das deutsche Volk der amerikanischen Hegemonie nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch und kulturell unterworfen. Die Verwendung von Anglizismen in der deutschen Sprache und ihre weitere Beförderung laufe darauf hinaus, dem deutschen Volk "einen Teil seiner Sprache zu nehmen, es somit in seiner Denkfähigkeit zu beeinträchtigen" . Es werde oft übersehen, dass "bei der Veränderung unserer Sprache gesellschaftliche Akteure im Spiel sind und es um geldwerte Macht und tributäre Unterwerfung geht (...)" . Betrachte man die Entwicklung im Gesamtzusammenhang, so könne die "allmähliche Aufgabe der Sprache (...) Ausdruck für die allmähliche Aufgabe als Volk sein" . In vielen vor allem westlichen Ländern habe die einstmals Weltgeltung erheischende deutsche Sprache, Literatur, andere Kunstgattungen und die Wissenschaft inzwischen einen sehr schlechten Ruf. Dieser schlechte Ruf sei keineswegs allein Resultat schlechter Erfahrungen mit Deutschland, der Hinweis auf die deutsche Geschichte bis 1945 trage Züge einer "moralischen Geiselhaft" und "Sippenhaft" . Der Hinweis auf den Faschismus erfolge im westlichen Ausland nur "aufgrund eines Zusammenhangs von Konkurrenz um Marktanteile, einer nur gegenüber Deutschen möglichen spezifischen Diskriminierung im Konkurrenzkampf".

Kein Wort findet Hensel über den Exportweltmeister Bundesrepublik Deutschland, der im Globalisierungsprozeß dem amerikanischen Kapital gegenüber völlig ebenbürtig ist, und, zumindest in Europa eine um vieles hegemonialere Position einnimmt, als die USA. Auch in der Bundesrepublik selbst so Hensel weiter, seien die tonangebenden Intellektuellen geprägt von "Sündenstolz" und verachteten Sprache, Kultur und Nation. Darüber hinaus führe die zunehmende Einwanderung, die inzwischen "invasorischen Charakter" angenommen habe, zur Entstehung von "ethnischen Inseln" und berge die Gefahr in sich, dass ein "Staat im Staate" entstehen könne. In Kenntnis "gesellschaftlicher Entwicklungen und der Natur des Menschen" müsse aber davon ausgegangen werden, dass diese Entwicklung äußerst konfliktträchtig sei und sich gewaltsam zuspitzen werde: "Ein Blick auf die regelmäßigen rassischen und ethnischen Auseinandersetzungen sogar in den USA als einer Einwanderernation zeigt dies" . Gegenüber den Verächtern der deutschen Kulturnation in der Bundesrepublik müsse deshalb der Spieß umgedreht werden, deren "altstudentisches Gebaren" müsse kritisiert werden, man müsse sich "in der Bevölkerung um Zustimmung (...) bemühen" und "den aufgestauten Unmut kulturpolitisch wirksam werden (...) lassen" . Damit der Niedergang von Sprache, Künsten, Literatur, Nation und Volk aufgehalten werden könne, müsse die Assimilierungsfähigkeit derselben gestärkt werden, nicht Integration oder gar Autonomie von fremden Sprachen und kulturellen Traditionen sei notwendig, sondern ihre Assimilierung. Die Streitschrift wurde stark gekürzt, in vielen Passagen jedoch wortwörtlich identisch, in MUT deren ständiger Mitarbeiter Hensel ist erneut publiziert. Fritz Vilmar fügte in einem Leserbrief zu diesem Artikel ausdrücklich an, er sei sich mit Horst Hensel darin einig, dass der "sprachliche Kotau", die Bundesrepublik "zur USamerikanischen Kolonie macht".

Antiamerikanische Kulturrevolution?

Die Formulierungen Horst Hensels in der Streitschrift zur Notwendigkeit einer antiamerikanischen "Kulturrevolution" entsprechen ziemlich genau dem, was Dan Diner mit dem Formwandel des Antiamerikanismus in Deutschland bezeichnet hat. Nicht mehr allein die Furcht vor der Moderne, vor der offenen Gesellschaft und ihren Konflikten spricht sich in diesem Antiamerikanismus aus. Darüber hinaus bildet die angebliche Selbstentfremdung Deutschlands von sich selbst durch Amerikanisierung den Kern des amerikafeindlichen Unbehagens.

Deutschland wird als Opfer der Vereinigten Staaten von Amerika und seiner Kultur imaginiert. Die Befreiung von der "Amerikanisierung" Deutschlands wird als Wiedergewinnung der eigentlichen deutschen Identität gedacht. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wird ohne seine explizite Leugnung als Infragestellung der nationalen Identität angesehen. Der Wandel von Sprache und Kultur wird als Prozeß der Zerstörung von Sprache, Kultur und Nation wahrgenommen und schließlich in einem Bedrohungsszenario als fast bereits abgeschlossen angesehen: Deutschland, in der Realität ein entscheidender Motor der Globalisierung, sei inzwischen genau dieser Globalisierung "von oben" (sprich: USA) und der Zuwanderung "von unten" (sprich: Osteuropa, Drittweltländer) schutzlos ausgeliefert, wenn nicht eine "Kulturrevolution" diese angebliche Not noch wenden werde.

Dieses Weltbild ist nicht nationalsozialistisch und auch nicht rechtsextrem. Hier wird nicht zum Sturz der parlamentarischen Demokratie aufgefordert und auch die Schaffung national befreiter Zonen mit der Hilfe von Gewalt und Terror ist nicht das Ziel. Hier geschieht jedoch trotzdem etwas, das auf die Dauer außerordentlich bedrohlich ist. Hier geht es darum, mit den Mitteln der Kulturpolitik eine Ethnisierung politischer und sozialer Konflikte durchzusetzen und darüber hinaus die aus der Bundesrepublik nicht mehr wegzudenkenden Debatten über Verantwortung und Haftung der Nazigeneration und ihrer Erben zurückzudrängen.

Ganz zurecht haben studentische Kritiker des Seminars an der Freien Universität Berlin deswegen darauf hingewiesen, dass die Vorstellung kultureller Homogenität, die dieses Konzept durchzieht, eine große Nähe zu den Vorstellungen des sogenannten "Ethnopluralismus" von Alain de Benoist und seinem Netzwerk der Neuen Rechten GRECE (Groupement de récherches et d ´etudes pour la civilisation européenne) haben: "Frankreich den Franzosen, England den Engländern und deswegen auch Deutschland den Deutschen" heißt sein Konzept.

Aktivitäten des "Vereins Deutsche Sprache e.V."

Der Verein Deutsche Sprache e.V. ist eine überparteiliche Vereinigung von Bürgern, die "für die Erhaltung der sprachlichen und kulturellen Vielfalt Europas" eintritt, nach Selbstauskunft in nur 2 ˝ Jahren "über zehntausend Mitglieder von 9 bis zu 99 Jahren gewonnen" hat und in ihrer Selbstdarstellung wie ihr zweiter Vorsitzender Wert auf den Hinweis legt, einem "Netzwerk gegen Rechtsradikalismus" anzugehören. Wer dies anders sieht, dem droht der Verein schon einmal mit zivil und strafrechtlichen Klagen.

Der Verein tritt dafür ein, dass "die deutsche Sprache als Lehr und Wissenschaftssprache erhalten und gefördert wird", dass sie "als die mit Abstand am weitesten verbreitete Muttersprache in der Europäischen Union den ihr gebührenden Platz erhält", dass "Firmen und Verbände, die ganz oder teilweise mit englischsprachigen Texten werben und Waren in englischer Sprache bezeichnen und beschreiben, ihrer Informationspflicht in der Landessprache" nachkommen, dass "Politiker, Schriftsteller, Journalisten und Sprachwissenschaftler (...), sich der Bedrohung unserer Sprache durch die Überfrachtung mit angelsächsischem Wort und Sprachgut bewußt (...) werden" und dass bevorzugt solche Waren gekauft werden, "die in deutscher Sprache ausgezeichnet sind und für die in deutscher Sprache geworben wird." In regelmäßigen Abständen lobt der Verein einen "Sprachpanscher" aus, eine Person oder Institution, die sich nach Auffassung der Jury in besonderer Weise an der Zerstörung der deutschen Sprache beteiligt.

Die Ortsgruppe des Vereins in Berlin unterstützt eine Gesetzesinitiative des Innensenators der gerade in Auflösung befindlichen Landesregierung Berlins Herrn Werthebach (CDU), der ein "Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache" gefordert hat. Dieser Vorschlag ist bei den Landesorganisationen der SPD, der Grünen und der PDS auf massive Kritik gestoßen. Trotzdem hat inzwischen die sich gerade in Auflösung befindliche "Große Koalition" Berlins noch vor ihrer Krise eine neue "Gemeinsame Geschäftsordnung für die Verwaltung in Berlin" beschlossen, die eine Verwendung von Fremdwörtern in den Amtsstuben der Stadt künftig nur noch in Ausnahmefällen erlaubt. Das Seminar von Horst Hensel und Fritz Vilmar an der Freien Universität Berlin ist Teil der Kampagnenpolitik des Vereins Deutsche Sprache. Hier hat sich eine Bürgerinitiative konstituiert, die folgt man der Streitschrift ihres stellvertretenden Vorsitzenden mit den Mitteln symbolischer Intervention eine Veränderung des politischen Klimas im umfassenden Sinne erreichen will. Es geht keineswegs allein um die Zurückdrängung von Anglizismen. Hier geht es um eine nationale Kulturrevolution gegen die angebliche Kolonisierung der Lebenswelt in der Bundesrepublik Deutschland durch die USA.

"Angst" vor dem "Verfall" der deutschen Sprache

Dass diese Sache mit dem "Angst" vor dem "Verfall" und der "Überfremdung" der eigenen Sprache auf Grund der vermeintlichen Anglisierung der Welt fast nur mit Macht, ihrer Ausübung und ihrer Perzeption zu tun hat, ist aus der Tatsache ersichtlich, dass nur grosse Länder sich über den vermeintlichen Verfall ihrer Sprache durch die globale Lingua Franca des Englischen amerikanischer Provenienz aufregen. Aus kleinen Ländern wie den BeneluxStaaten und den skandinavischen Ländern, hört man keine Proteste zu diesem Problem, obwohl Dänisch, Schwedisch, Niederländisch und Finnisch genau so kulturreiche Sprachen sind, wie Deutsch oder Französisch und obwohl kleine Länder viel geringere Ressourcen zu einer etwaigen Verteidigung ihrer Identität zur Verfügung haben, als große. Holländer und Dänen haben keine Sekunde lang Angst, dass sie ihre Kultur verlieren, oder auch nur irgendwie im Geringsten beeinträchtigen, wenn sie des Englischen nicht nur mässig kundig sondern wie es bei Bewohnern kleiner Länder stets der Fall ist es sogar auf hohem Niveau beherrschen. Kleine Länder sehen das Hinzukommen des Englischen als eine kulturelle Bereicherung und nicht als eine Bedrohung ihrer Identität. Die Furcht der grossen Länder von einem vermeintlichen Identitätsverlust ihrerseits zugunsten eines in ihrer Sicht imperialistisch sich verbreitenden Englisch hat alles mit ihren machtbezogenen Ambitionen und Konkurenzverhältnissen zu der englischsprachigen Welt, insbesondere den USA zu tun, und wenig mit einem realen Verlust der eigenen kulturellen Identität. In einem brillanten Aufsatz hat Peter Schneider völlig richtig auf die Tatsache hingewiesen, dass die englische Sprache kein feindlicher Eindringling in die jeweiligen Kulturen Europas und der Welt ist, sondern ganz im Gegenteil, eine allgemein verbindende und verständliche Lingua Francadas Latein des Jahres 2001. Diese Tatsache wurde erst vor kurzen durch folgende wichtige Entwicklung untermauert: Seit dem Jahre 2000, gibt es auf der Erde fast 30 Millionen mehr Menschen mit Englisch als Zweitsprache, als mit Muttersprache. Und diese Tendenz wird im Laufe des 21. Jahrhunderts weiter wachsen.

Die rotgrüne Bundesrepublik Deutschland und die "Zeitreise" der Deutschen

Das OttoSuhrInstitut der Freien Universität Berlin an dem dieses Seminar des Verbandes Deutsche Sprache stattfindet ist nicht irgendein Institut der Bundesrepublik Deutschland. Vor 1945 war in den Räumlichkeiten ein Teil der nationalsozialistischen Rasseforschung untergebracht. Nach 1945 wurde es unter wesentlicher Hilfe und mit großem Einfluß von emigrierten Naziwiderständlern und Sozialwissenschaftlern zum Beispiel Franz Leopold Neumann und Ernst Fraenkel aufgebaut, die politische Wissenschaft als Demokratiewissenschaft in Deutschland etablieren wollten und die deswegen auch einen besonderen Nachdruck auf die Forschung und Lehre zu und über Nationalsozialismus und Stalinismus legten. Seit den späten 60er Jahren entwickelte es sich zu einer der Theoriehochburgen der nicht sozialdemokratischen Linken in der Bundesrepublik. Seit dem Zusammenbruch der DDR und ihrem Beitritt zur Bundesrepublik befindet es sich aus vielerlei Gründen materiell wie ideell in der Krise. Ein solcher Ort und eine solche Geschichte verpflichten. Einer solchen Geschichte und einer solchen Tradition widersprechen deshalb aus unserer Sicht die vorgestellten Anliegen der Dozenten Hensel und Vilmar. Die Durchführung des Seminars wirkt besonders befremdlich vor dem Hintergrund, dass vor nicht allzu langer Zeit ein wissenschaftlicher Angestellter desselben Instituts (Bernd Rabehl) mit ganz ähnlichen Thesen für großen Aufruhr gesorgt hatte. Der Institutsrat des OttoSuhrInstituts hat damals sein deutliches Mißfallen gegenüber Rabehl in einem Beschluß festgehalten und die HansBöcklerStiftung des DGB hat ihm gar den Status als Vertrauensdozent entzogen. Rabehl lehrt freilich weiter am Otto-Suhr-Institut.

Ohne von der Linken sprechen zu wollen, die es natürlich nicht gibt, läßt sich bei den Auseinandersetzungen um Fritz Vilmar und Bernd Rabehl doch von Konflikten sprechen, die nicht unwichtige Teile des Selbstverständnis der 68er Linken betreffen. Beide sind keine Personen, die in ihrem Denken völlig am Rand dieser Linken gestanden hätten, ganz im Gegenteil. Der eine wirkte eher außerhalb der Sozialdemokratie (Rabehl), der andere eher innerhalb (Vilmar). Ihre nationalen Orientierungen bei dem einen eher völkisch (Rabehl), bei dem anderen nicht so extrem (Vilmar), beide jedoch deutlich antiamerikanisch und mit mehr oder minder deutlich ausgesprochenen Vorbehalten im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Tätergeschichte Deutschlands sind insofern auch nicht außerhalb des Kontextes dieser deutschen Linken zu begreifen.

Diese 68er Linke hat sich vor kurzer Zeit, als die CDU den Außenminister der Bundesrepublik in einer Kampagne stürzen wollte, fast geschlossen hinter Joschka Fischer gestellt und wurde im Diskurs zum Skandal nicht müde darauf zu verweisen, welche demokratisierende und befreiende Wirkung ihr Auftreten für die Gesellschaft der Bundesrepublik gehabt hat.

Wir stimmen im Kern zu. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass diese 68er Linke in Deutschland mit einem Problem beschäftigt ist, das etwa die Neue Linke in Frankreich oder in den USA nicht zu bewältigen hatte. Die deutsche Generation der Achtundsechziger stand nicht nur vor der Aufgabe eine scharfe Markierung zwischen sich und die ältere Generation zu ziehen, sondern darüber hinaus wollte sie eine Abgrenzung von der unwiderruflich kompromittierenden nationalen Geschichte vollziehen. Dass dabei nicht nur das Motiv eine Rolle spielte, das Schweigen über den Nationalsozialismus zu brechen, das in der Bundesrepublik der AdenauerÄra herrschte, sondern auch das Motiv, sich selbst von der Haftung und Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen loszusprechen, ist oft geschrieben worden, wurde jedoch in Deutschland von Linken immer bestritten. Die Parole "USA-SA-SS" mit der sich die Rufer nicht nur gegen die USA wendeten, sondern durch die Gleichsetzung der Verbrechen des Nationalsozialismus mit dem Vietnamkrieg eine Selbstexkulpation herstellten, wurde in Deutschland selbst als Randphänomen der deutschen Linken nach dem Krieg angesehen.

Wir glauben dagegen, dass Fälle wie Rabehl, und Vilmar darauf hinweisen, dass viele Linke in der Bundesrepublik die Last von Schuld, Haftung und Verantwortung abschütteln wollen. Der Wunsch nach Normalität ist auch hier verbreiteter als gemeinhin angenommen wird. Erwachsener wäre eine Haltung, die sich belehren läßt, dass in einer Gesellschaft, die heute immer noch unfaßbare Verbrechen selbst angerichtet hat, auch 55 Jahre später nichts normal sein kann.